05.06.2020
Religiosität in Zeiten der Corona-Krise
- Religiosität (gemessen über die Frequenz des Betens und die Wichtigkeit von Religion und Kirche) hat sich über die Jahre in Österreich verringert. Auch in der Corona-Krise setzt sich dieser Trend fort.
- Religiöse Menschen wenden aktivere Strategien zur Krisenbewältigung an: sie suchen eher nach sozialer Unterstützung und setzen sich kognitiv stärker mit der Krise auseinander als weniger religiöse Menschen.
- Religiöse Personen weisen während der Corona-Krise eine höhere Lebenszufriedenheit auf als Nichtreligiöse, sie sind zufriedener mit der Regierung und haben mehr Vertrauen in staatliche Institutionen (wie die Regierung und die Polizei). Letzteres könnte mit einer Tendenz zu autoritären Einstellungen in Verbindung stehen.
- Religiöse Menschen fühlen sich jenen, die unverschuldet in die Krise geraten sind, solidarisch verpflichtet. Ein bedingungsloses Grundeinkommen lehnen sie eher ab.
Von Wolfgang Aschauer, Franz Höllinger und Claudia Herbst
Obwohl die Religion für viele Menschen weiterhin einen wichtigen Lebensinhalt darstellt, kann in Österreich schon seit längerer Zeit eine gewisse Enttabuisierung von Kirchenaustritten sowie ein Anstieg der Konfessionslosigkeit beobachtet werden. Bis auf den jährlichen Kirchenbesuch zu Weihnachten spielt die Religion für große Teile der christlichen Bevölkerung in Österreich lediglich eine untergeordnete Rolle. Gleichzeitig stellt kann Religion auch als Bereicherung und Stütze in schwierigen Lebenssituationen dienen. So ist beispielsweise die Lebenszufriedenheit bei religiösen Menschen tendenziell höher ausgeprägt.
Auch in Zeiten der aktuellen Corona-Krise stellt sich die Frage, welche Rolle der Glaube für die Menschen im Zuge der Krisenbewältigung hat und wie er sich auf ihr Wohlbefinden sowie auf Einstellungen gegenüber der Politik und der Gesellschaft auswirkt. Um diesen Fragen nachzugehen, werden im Folgenden Daten aus der Corona-Panelumfrage der Universität Wien (Welle 5) und dem Social Survey Österreich (SSÖ) präsentiert.
Religiosität in Österreich im Zeitverlauf
Abbildung 1a und 1b zeigen, dass die Bedeutung der Religiosität (gemessen mit der Häufigkeit des Betens und der Wichtigkeit von „Religion und Kirche“) tendenziell abgenommen hat. Während im Jahr 1991 etwa die Hälfte der Bevölkerung regelmäßig oder öfters betete, macht dies nach den Daten des aktuellen Corona-Panels heute nur noch etwa ein Viertel. Parallel dazu hat sich der Anteil der Personen, die Religion und Kirche als nicht wichtig einstufen, von 1986 bis 2020 nahezu verdoppelt. Aktuell sind dies bereits mehr als zwei Drittel der Bevölkerung.
Aus den beiden Merkmalen (Häufigkeit des Betens und Wichtigkeit von Religion und Kirche) wurde in weiterer Folge ein Index konventioneller Religiosität berechnet. Die Befragten wurden in vier Gruppen eingeteilt. Ein Drittel der österreichischen Bevölkerung (n = 459, 32,6%) ist nach dieser Einteilung nicht religiös[1], ein ähnlicher Anteil der Bevölkerung (n = 427, 30,3%) ist gering religiös orientiert. Die Gruppe der mittelmäßig Religiösen setzt sich aus einer mäßigen Frequenz des Betens und aus einer durchschnittlichen Wichtigkeit dieses Lebensbereichs zusammen (n = 354, 25,2%). Nur ein geringer Anteil der Bevölkerung weist eine hohe Religiosität auf, die sich durch eine hohe Frequenz des Betens und einer hohen Wichtigkeit von Religion auszeichnet (n = 167, 11,9%).
Religion und Krisenbewältigung
In Zeiten von Krisen wenden die Menschen unterschiedliche Strategien der Krisenbewältigung (Coping-Strategien) an. Anhand einer Fragenbatterie, die sich auf eine etablierte Messung des Copings bezieht, lassen sich mittels Faktorenanalyse vier Coping-Strategien unterscheiden: Negierung der Krise; Suche nach sozialer Unterstützung, problemorientierte Auseinandersetzung und Optimismus.
Abbildung 2 zeigt den Zusammenhang zwischen Religiosität und den vier Coping-Strategien auf. Der Nullpunkt gibt den durchschnittlichen Grad an Verwendung dieser Coping Strategie an. Positive Werte implizieren eine stärkere Tendenz zur Verwendung der jeweiligen Strategie. Im Vergleich zu Nichtreligiösen sind religiöse Menschen in der Krise aktiver und problemorientierter, sie suchen häufiger Unterstützung bei anderen Menschen und sind etwas optimistischer; Nichtreligiöse hingegen haben eine stärkere Tendenz, die Krise zu negieren.
Religiosität, individuelles Wohlbefinden und Zufriedenheit mit der gesellschaftlichen Funktionsfähigkeit
Abbildung 3 führt erneut die vier Gruppen mit abnehmender Religiosität an und zeigt die Unterschiede im individuellen Wohlbefinden (gemessen über positive und negative Affekte und Lebenszufriedenheit) und in den Wahrnehmungen der gesellschaftlichen Funktionsfähigkeit (gemessen über Institutionenvertrauen und Regierungszufriedenheit) auf.
Es wird ersichtlich, dass Personen mit hoher Religiosität eine deutlich höhere Lebenszufriedenheit aufweisen als jene, die nicht religiös sind. In Hinblick auf Affekte können nur kleine Unterschiede festgestellt werden. Es gibt somit auch während der aktuellen Corona-Krise keinen Zusammenhang zwischen Religiosität und (positiven und negativen) Gefühlslagen bzw. konnte in dieser Studie keine verringerte Anfälligkeit für Depressivität festgestellt werden, wie dies in anderen Studien der Fall ist.
Zusätzlich wurde in der Studie das Vertrauen in diverse Institutionen (ORF, Polizei, Parlament, Gesundheitswesen, Bundesregierung, Bundesheer) sowie die „Zufriedenheit mit der Bundesregierung“ (Zufriedenheit allgemein und Zufriedenheit mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der Stützung der kleinen und mittleren Unternehmen und der Stützung der Wirtschaft) erhoben. Sehr deutlich zeigt sich, dass religiöse Personen ein höheres Vertrauen in Institutionen, sowie eine höhere Zufriedenheit mit der aktuellen Bundesregierung angeben als Personen, die wenig oder nicht religiös sind.
Religiosität, Werte und Einstellungen
Abbildung 4 zeigt abschließend, wie Religiosität mit autoritären Weltanschauungen und Einstellungen gegenüber den Leidtragenden der Corona-Krise zusammenhängt. Gerade in Krisensituationen und damit einhergehenden Unsicherheiten können Personen verstärkt für Autoritarismus anfällig sein. Dieses Phänomen wird regelmäßig (z.B. auch aktuell in Deutschland) mit den Erscheinungsformen Konventionalismus, autoritärer Unterordnung und autoritärer Aggression gefasst. Auch im Corona-Panel wurden diese Dimensionen mit jeweils einem Indikator gemessen.
In Hinblick auf die Einstellung zu politischen Maßnahmen zugunsten von Personengruppen, die materiell besonders stark von der Krise betroffen sind, lässt sich kein konsistenter Zusammenhang mit Religiosität erkennen: Religiöse Menschen sprechen sich häufiger für Steuererhöhungen zur Bekämpfung der Krise aus, lehnen aber ein bedingungsloses Grundeinkommen eher ab als Nichtreligiöse.
Fazit
Generell kann zusammengefasst werden, dass die Relevanz von Religion weiterhin abnimmt und auch während der aktuellen Corona-Krise weiter in den Hintergrund tritt. Jedoch zeigen die Daten, dass religiöse Personen der derzeitigen Situation besonders durch aktive Strategien der Krisenbewältigung entgegentreten. Sie suchen nach aktiver Unterstützung und gehen problemorientierter mit der COVID-19 Situation um. Aus den Ergebnissen des Coronapanels geht zudem hervor, dass religiöse Menschen zufriedener mit ihrer eigenen Lebenssituation sind, die Arbeit der Bundesregierung in Hinblick auf die Krisenbewältigung positiver bewerten und mehr Vertrauen in staatliche Institutionen haben als nichtreligiöse Menschen. Dies könnte durch eine erhöhte Neigung zu Obrigkeitsgläubigkeit (als eine Facette der Autoritarismusforschung) erklärbar sein. Der christliche Wert der Solidarität wird von religiösen Menschen nicht stärker vertreten als von nichtreligiösen, zumindest nicht, wenn es um die Frage von staatlichen Maßnahmen zur Unterstützung bzw. Umverteilung zugunsten ärmerer Bevölkerungsgruppen geht.
Wolfgang Aschauer ist seit 2016 Assoziierter Professor an der Abteilung Soziologie und Kulturwissenschaft der Universität Salzburg. Seine Forschungsbereiche sind die soziale Integrationsforschung (hier insbesondere Herausforderungen des gesellschaftlichen Zusammenhalts und Solidaritätspotentiale in der westlichen Gesellschaft und interkulturelle Verständigung) sowie auch quantitative Methoden der Sozialforschung und Tourismusforschung. (Kontakt: wolfgang.aschauer@sbg.ac.at)
Franz Höllinger ist a.o. Universitätsprofessor am Institut für Soziologie der Universität Graz. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Untersuchung des Wandels religiöser und familiärer Lebensformen und Wertorientierungen in international vergleichender Perspektive. Neuere Publikation: Religion and existential security. A cross-national comparative analysis on the macro- and micro-level; British Journal of Sociology 2019. (Kontakt: franz.hoellinger@uni-graz.at)
Claudia Herbst studiert Soziologie sowie Kunstgeschichte an der Universität Salzburg. Hier ist sie seit 2019 Studienassistentin an der Abteilung Soziologie und Kulturwissenschaft. Derzeit schreibt sie ihre Abschlussarbeit im Bereich sozialer Bewegungen und klimapolitischer Proteste. (Kontakt: claudia.herbst@sbg.ac.at)
Fußnoten
[1] Alle Analysen wurden mit gewichteten Daten vorgenommen. Die Studien unterscheiden sich jedoch bezüglich Sampling und Erhebungsmodus (die SSÖ/ISSP-Daten beruhen auf Register-Zufallsstichproben und Face-to-Face-Befragungen; im Coronapanel werden Befragte nach Quotenvorgaben online befragt). Unterschiede in den Ergebnissen könnten daher zum Teil auf die Methodik der Erhebung zurückzuführen sein.
[2] Wir sind uns bewusst, dass diese beiden Items das Spektrum der Religiosität nicht ausloten können und primär die konventionelle Form der kirchenbezogenen Religiosität erfassen. Dementsprechend ist mit der Bezeichnung „nicht religiös“ nur gemeint, dass Befragte im Sinn der Beantwortung dieser beiden Items als nicht religiös eingestuft wurden.
[3] Konventionalismus: „Es würde dem Land besser gehen, wenn die jungen Leute sich mehr auf Werte und Traditionen besinnen würden.“, autoritäre Unterordnung: „Wir brauchen starke Führungspersonen, damit wir in der Gesellschaft sicher leben können“.; autoritäre Aggression „Unsere Gesellschaft muss einmal wirklich hart gegen Kriminelle durchgreifen."