27.04.2020

Allein leben in Zeiten von Corona

  • Alleine leben hat viele Gesichter. Das Spektrum reicht vom Single Anfang 30 über den geschiedenen Familienvater/die geschiedene Familienmutter bis zur verwitweten Seniorin/zum verwitweten Senior. Am häufigsten alleinlebend sind ältere Frauen.        
  • Die Gefahr vor Einsamkeit ist für Alleinlebende höher als für Personen, die mit zwei oder mehr Personen zusammenleben.        
  • Jüngere Alleinlebende fühlen sich einsamer als ältere, wobei innerhalb der Altersgruppe bemerkenswerte Unterschiede bestehen. Bei den Jüngeren fühlen sich insbesondere Frauen einsamer; bei den Älteren sind es die Männer.

Von Johann Bacher und Martina Beham-Rabanser

Die Corona-Krise hat das Augenmerk auch auf eine Gruppe gerichtet, der in der Öffentlichkeit ansonsten wenig Beachtung geschenkt wird: nämlich der Gruppe der Alleinlebenden. Aber wer lebt überhaupt alleine? Und wie bewältigen diese alleinlebenden Personen die Krise? Würde man die Frage, welche Merkmale jemand mit dem Begriff „alleinlebend“ verbindet, verschiedenen Personen stellen, dann wären die Antworten bunt und vielfältig – genauso wie die Wissenschaft keine eindeutige Antwort darauf hat. Das Spektrum der Antworten würde das klassische Bild vom Single, Anfang 30, beruflich erfolgreich ebenso beinhalten wie die alleinwohnende Studentin, den geschiedenen Familienvater wie die alleinlebende, verwitwete Seniorin. Alleinleben hat viele Gesichter und die typisch alleinlebende Person gibt es nicht.

Wer sind die Alleinlebenden?

In der internationalen Forschung finden sich unterschiedliche Typologien von Alleinlebenden. Sie unterscheiden größtenteils, ob das Alleinleben freiwillig oder – durch äußere Umstände - erzwungen ist und wie lange der Status schon anhält. Mit Blick auf die Lebensphasen lassen sich – zumindest – drei Gruppen unterscheiden. Die Gruppe der jungen Alleinlebenden, die vielfach beruflich engagiert ist, die entweder noch keine Partnerbeziehung hat bzw. immer wieder mal nach gescheiterten Kurzbeziehungen alleine lebt und vielfach die Familiengründung noch vor sich hat. Die zweite Gruppe sind die Geschiedenen und Getrenntlebenden, bei denen es vielfach nach langjähriger Beziehung, oft auf Initiative der Partnerinnen zur Trennung kam. Die dritte und durch die steigende Lebenserwartung anwachsende Gruppe sind die älteren, verwitweten Personen, vorwiegend Frauen.

Unsere Daten lassen leider keine feinere Differenzierung nach Familienstand und Lebensereignissen, wie z.B. Scheidungen oder Tod des Partners/der Partnerin zu. Verfügbar sind aber als erste Annäherung das Alter und das Geschlecht der befragten Personen. Wir haben daraus für die weitere Analyse sechs Typen gebildet (siehe Abbildung 1), indem wir drei Altersgruppen (unter 35 Jahren, 35 bis 60 Jahre, 61 Jahre und älter) nach Geschlecht unterscheiden, wobei – grob betrachtet – die Altersgruppe der unter 35-Jährigen für die Gruppe der genannten jungen alleinlebenden aktiven Singles steht. Die mittlere Altersgruppe der 35- bis 60-Jährigen soll die Geschiedenen oder Getrenntlebenden abbilden; die Gruppe der 60-Jährigen und Älteren steht primär für jene der verwitweten Personen.

Insgesamt leben 20% der Befragten alleine. In der Gruppe der unter 35-Jährigen leben etwa 12% alleine, Geschlechterunterschiede lassen sich nicht feststellen. Der Anteil der Alleinlebenden erhöht sich in der Altersgruppe der 35- bis 60-Jährigen auf etwa 18%. Wiederum fehlen Geschlechterunterschiede. Geschlechterunterschiede treten erst in der Gruppe der Älteren auf. Von den 61-jährigen und älteren Frauen leben fast 40% alleine, bei den Männern sind es nur 23%. Dies begründet sich zum einen in Unterschieden in der Lebenserwartung, hängt aber auch damit zusammen, dass sich mit zunehmendem Alter die Position auf dem Partnermarkt für geschiedene oder verwitwete Frauen deutlich verschlechtert, weil Männer im „Wiederverpartnerungsprozess" auf ein viel weiteres Altersspektrum zurückgreifen und mitunter jüngere Partnerinnen bevorzugen. 

Abbildung 1: Anteil Alleinlebender nach Alter und Geschlecht (Quelle: Austrian Corona Panel Data, Welle 1, gewichtete Daten, n=1.533).

Alleinlebende und Einsamkeit in der Corona-Krise

Alleinlebende Personen sind objektiv betrachtet in einem besonderen Ausmaß von den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Krise betroffen. Abstand halten, zu Hause bleiben, keine Freund*innen treffen – für Alleinlebende bedeuten diese Distanzierungsregeln ganz besondere Herausforderungen. Sie haben niemanden, mit dem sie sich in der Wohnung austauschen können, oder niemanden, mit dem sie im Freien spazieren gehen dürfen. Diese besondere Belastung spiegelt sich auch in dem Gefühl der Einsamkeit wider. Es ist bei allen sechs Typen von Alleinlebenden signifikant höher als bei Personen, die in Haushalten mit zwei oder mehr Personen leben.

Abbildung 2: Gefühl der Einsamkeit für unterschiedliche Typen von Alleinlebenden (Quelle: Austrian Corona Panel Data, Welle 1, gewichtete Daten, n=1.505).

Das Gefühl der Einsamkeit nimmt mit dem Alter ab, wobei sich sowohl in der jungen als auch in der älteren Altersgruppe bemerkenswerte Geschlechterunterschiede zeigen. Am stärksten vom Gefühl der Einsamkeit betroffen sind jüngere alleinlebende Frauen (bis 35 Jahre). Jüngere Männer fühlen sich im Vergleich seltener einsam als jüngere Frauen. In der mittleren Lebensphase von 35 bis 60 Jahren, in der die meisten beruflich eingebettet sind, zeigen sich diesbezüglich keine Unterschiede. Im Alter, bei den 61-Jährigen und Älteren, bei denen davon auszugehen ist, dass sich sowohl Personen nach Scheidung als auch nach Verwitwung befinden, sind es hingegen deutlich mehr Männer als Frauen, die sich einsam fühlen. Diese geschlechtsspezifischen Unterschiede im Einsamkeitserleben je nach Alter und damit verbundener Lebenssituation haben unterschiedliche Gründe. Bei Jüngeren dürfte Männern zugute kommen, dass sie etwas häufiger in Vereine eingebettet sind bzw. ihre Freizeit öfter in Gruppen mit anderen verbringen, z.B. in Sportvereinen und dadurch insgesamt mehr, wenn auch oft losere Kontakte haben, die sie virtuell während der Corona-Krise fortsetzen, weshalb sie sich vermutlich weniger einsam fühlen. Während jungen Frauen persönliche Treffen mit (besten) Freund*innen wichtiger sind, und dieses Bedürfnis nach Austausch und intensiver Beziehung scheinbar schlechter ausschließlich über soziale Medien erfüllt werden kann. Nach Trennung, aber auch nach dem Tod der Partnerin, wünschen sich ältere Männer häufiger eine Partnerin an ihrer Seite und zeigen sich beziehungs- und bindungsorientierter. Auch sind sie schneller und aktiver auf Partnersuche, weshalb sie sich vermutlich nicht nur in der jetzigen Krisenzeit einsamer fühlen. Alleinlebende ältere Frauen hingegen, für die Alleinleben vielfach nicht eine kurze vorübergehende Lebensphase ist, scheinen über eine höhere Singlekompetenz zu verfügen, und sind anders als Männer oft besser vernetzt. D.h. sie dürften eher gelernt haben, mit dem Alleinsein umzugehen, da sie auch in Nicht-Corona-Zeiten in der Regel von sich aus aktiv werden, um nicht zu vereinsamen.

Conclusio

Die Unterschiede im Gefühl der Einsamkeit zwischen jüngeren und älteren Alleinlebenden könnten in der Corona-Krise verstärkt werden. Während die Gefahr von Vereinsamung der gesundheitlich mehr gefährdeten Älteren vermutlich stärker im Blick steht und von Bekannten, Verwandten, Nachbarn*innen usw. beachtet wird, wird bei jüngeren Alleinlebenden dagegen schneller vergessen, dass sich auch bei ihnen, wenn berufliche Kontakte und Freizeitkontakte wegfallen, Gefühle der Einsamkeit einstellen können und es daher wichtig wäre, dass sie jemanden haben, der aufgrund des Distanzgebots zumindest in virtuellem Kontakt mit ihnen bleibt.

Alleinlebende – unterschiedlichen Alters – brauchen gerade jetzt Gespräche, Gelegenheiten zum Austausch von Erfahrungen und Gefühlen, sei dies per Telefon oder über diverse soziale Medien. Alleinleben darf trotz verordneter Distanzierungsregeln nicht heißen, isoliert zu leben, da Einsamkeit Vorbote für gesundheitliche Probleme sein kann. Wir alle sind daher gefragt, Kontakt zu alleinlebenden Kolleg*innen, Nachbarn, Verwandten und Freund*innen zu suchen, von denen wir schon länger nichts gehört haben, um mit kleinen Zeichen der Verbundenheit und Nähe Einsamkeit vorzubeugen.


Johann Bacher ist Professor für Soziologie und empirische Sozialforschung am Institut für Soziologie der Johannes Kepler Universität Linz. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Methoden der empirischen Sozialforschung, soziale Ungleichheiten und die Soziologie des Abweichenden Verhaltens.

Martina Beham-Rabanser ist wissenschaftliche Mitarbeiterin Institut für Soziologie der Johannes Kepler Universität Linz. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Familien- und Kindheitssoziologie, sozialer Wandel und Kindheit sowie Familien- und Generationenbeziehungen heute.