01.07.2020

Ablehnende Haltung der Österreicher*innen zu Flucht und Asyl

  • Im Austrian-Corona-Panel wurde die Einstellung der Österreicher*innen zu zwei Aspekten des Themenkomplexes Flucht und Asyl gefragt. Zu beiden Aspekten liegt eine asylkritische Haltung der Österreicher*innen vor.
  • Eine Aufnahme von Geflüchteten aus den griechischen Flüchtlingslagern findet derzeit keine Mehrheit. Eine Abschiebung im Fall eines negativen Asylbescheids befürworten mehr als zwei Drittel der Befragten.
  • Es besteht ein starker Zusammenhang zwischen Parteipräferenz und den Einstellungen zu den beiden erfassten Themenbereichen.
  • Die ökonomische Lage, Einkommensverluste während der Corona-Krise und die Bewertung der wirtschaftlichen Entwicklung seitens der Befragten spielen mit einer Ausnahme keine Rolle.
  • Dagegen besteht ein Zusammenhang mit der Bildung der Befragten.

Von Johann Bacher

Die Corona-Krise hat auch das Thema Flucht und Asyl wie andere Themen in den Hintergrund gedrängt. Über die unmenschlichen Bedingungen auf den griechischen Inseln wurde medial zwar berichtet, die Resonanz war jedoch gering und auf der politischen Bühne machten sich nur wenige Akteur*innen für eine humane Flüchtlingspolitik stark.[1] Gleiches gilt für die Forderung nach einem Abschiebestopp von Geflüchteten, insbesondere von jenen aus Afghanistan. Hinweise, dass die von einer Abschiebung gefährdete Gruppe etwa über Qualifikationen in der Pflege verfügt, verhallten, obwohl während der Corona-Krise der Pflegebedarf deutlich sichtbar wurde.

Einstellungen der Österreicher*innen zum Thema Flucht und Asyl

Wie die österreichische Bevölkerung zu den beiden oben genannten Themenbereichen, der Aufnahme von Geflüchteten aus den griechischen Flüchtlingslagern und der Abschiebung im Falle eines negative Aslybescheids, steht, wurde in der 9. Welle in der Woche vom 23. bis 27.5.2020 des Austrian-Corona-Panels erfasst. Die Ergebnisse (siehe Abbildung 1) zeigen, dass sich etwa ein Drittel dezidiert gegen eine Aufnahme von Geflüchteten aus den griechischen Flüchtlingslagern (34 %) ausspricht. Eine eher ablehnende Haltung haben 20 % . Ein Viertel ist unentschlossen. Die verbleibenden Befragten (22 %) befürworten eine Aufnahme. In der Summe überwiegt somit mit 53 % eine Ablehnung, eindeutig festgelegt in ihrer Meinung sind aber nur 34 % (dezidierte Ablehnung) bzw. 8 % (dezidierte Zustimmung). Es besteht noch eine gewisse Offenheit.

Abbildung 1: Einstellung der Befragten zur Aufnahme von Geflüchteten aus den griechischen Flüchtlingslagern (Quelle: Austrian-Corona-Panel, Welle 9, gewichtete Daten, n= 1383)

Der Frage, ob Geflüchtete mit einem negativen Asylbescheid abgeschoben werden sollen, stimmen 48 % dezidiert zu (siehe Abbildung 2). Weitere 20 % stimmen eher zu, ebenso viele sind unentschlossen. Die verbleibenden 12 % lehnen eine Abschiebung ab. Auch bei dieser Frage ist zu bedenken, dass sie wie jene nach der Aufnahme von Flüchtlingen sehr allgemein formuliert ist und keine Bedingungen, wie z.B. Abschiebung trotz erfolgreicher schulischer oder beruflicher Ausbildung in Österreich, spezifiziert wurden, unter denen es zu keiner Abschiebung kommen sollte.  

Abbildung 2: Einstellung der Befragten zur Abschiebung von Geflüchteten bei einem negativen Asylbescheid (Quelle: Austrian-Corona-Panel, Welle 9, gewichtete Daten, n= 1400)

Parteipräferenz und Einstellungen zum Thema Flucht und Asyl

Zwischen der Parteipräferenz (erfasst durch die Frage, wen man am Sonntag wählen würde, wenn Nationalratswahl wäre) und der Einstellung zu den beiden Themenbereichen (siehe Tabelle 1 und 2) besteht ein deutlicher, statistisch signifikanter Zusammenhang.

Eine Mehrheit für eine Aufnahme von Geflüchteten aus den griechischen Flüchtlingslagern ist nur bei Befragten, die am nächsten Sonntag die Grünen wählen würden, mit 55 % gegeben. Bei Befragten mit einer Wahlabsicht in Richtung NEOS und SPÖ liegen die Zustimmungswerte bei 32 % bzw. 29 %. Es folgen Personen, die unentschlossen sind oder nicht wählen gehen würden. Bei jenen mit einer Präferenz für die ÖVP sind es immerhin noch 12%, die sich eine Aufnahme von Geflüchteten vorstellen können. Bei der FPÖ und dem Team HC Strache sinken die Werte unter 6%.

Tabelle 1: Einstellung zur Aufnahme von Geflüchteten aus den griechischen Flüchtlingslagern in Abhängigkeit von der Wahlabsicht bei der Sonntagsfrage (Quelle: Austrian-Corona-Panel, Welle 9, gewichtete Daten, n= 1248, Chi2=244,7, p=0,000, dafür=stimme voll und ganz zu oder stimme eher zu; dazwischen=teils-teils; dagegen=lehne eher ab oder lehne voll und ganz ab.)

Ein ähnliches Muster zeigt sich bei der Frage nach einer Abschiebung im Fall eines negativen Asylbescheids. Auch hier ist – auf einem deutlich höheren Niveau – die Zustimmung zu einer Abschiebung unter Befragen mit einer Wahlpräferenz für FPÖ bzw. das Team HC Strache mit Werten von 97 % und 82 % deutlich größer als bei jenen mit einer Präferenz für die NEOS oder die Grünen (52 % bzw. 4 %). Insgesamt gibt es bei keiner Wählergruppe eine Mehrheit für die Option eines allgemeinen Abschiebstopps. Es dominiert die Befürwortung einer Abschiebung bei einem negativen Asylbescheid, wobei nochmals darauf hingewiesen sei, dass beide asylpolitischen Forderungen sehr allgemein erfasst wurden (siehe oben) und differenzierte Positionen in der Befragung nicht berichtet werden konnten. Lediglich bei den Grünen liegt mit 44 % der Prozentsatz der Befürwortung einer Abschiebung unter 50%.

Tabelle 2: Einstellung zur Abschiebung von Geflüchteten bei einem negativen Asylbescheid in Abhängigkeit von der von der Wahlabsicht bei der Sonntagsfrage (Quelle: Austrian-Corona-Panel, Welle 9, gewichtete Daten, n=1259, Chi2=134,2, p=0,000, dafür=stimme voll und ganz zu oder stimme eher zu; dazwischen=teils-teils; dagegen=lehne eher ab oder lehne voll und ganz ab.)

Ökonomische Situation keine Erklärung für ablehnende Haltung

Eine Verbesserung der ökonomischen Situation von Befragten würde keine wesentlichen Effekte auf die untersuchten Einstellungen haben (siehe Tabelle 3). Die Zu- oder Ablehnung der beiden Aussagen ist daher im Gegensatz zur häufig gehörten Annahme keine Frage der ökonomischen Lage der Befragten. Auch ein eventueller Einkommensverlust durch die Corona-Krise oder eine optimistische bzw. pessimistische Bewertung der wirtschaftlichen Entwicklung nach Corona hängen nicht mit der Einstellung zu diesem Themenbereich zusammen. Nur eine einzige Korrelation liegt über 0,100 und deutet damit darauf hin, dass die Zustimmung zu einem Abschiebestopp steigt, wenn keine wirtschaftliche Gefahr für die österreichische Bevölkerung gesehen wird.

Tabelle 3: Zusammenhang der Einstellungen zur Flucht und zum Asyl mit Variablen der ökonomischen Situation (Quelle: Austrian-Corona-Panel, Welle 9, gewichtete Daten, n= 1084 bis 1398, r=Pearsons Korrelationskoeffizient, p=einseitiges Fehlerniveau, taub=Kendalls tau-b)

Sozio-Demographie und Einstellungen zum Thema Flucht und Asyl

Zwischen den erfassten Einstellungen und dem Geschlecht besteht kein statistisch nachweisbarer Zusammenhang (siehe Tabelle 4). Frauen oder Männer zeigen also keine geringere oder stärkere Zustimmung. Anders ist die der Sachverhalt bezüglich der Bildung. Im Einklang mit vielen Studien zur Fremdenfeindlichkeit sprechen sich Befragte mit einer höheren Bildung (Matura oder darüber hinaus gehend) stärker für eine Aufnahme von Flüchtlingen aus den griechischen Flüchtlingslagern aus und lehnen weniger häufig dezidiert eine Abschiebung bei einem negativen Asylbescheid ab. Hinsichtlich des Alters lässt sich schließlich beobachten, dass Ältere in einem stärkeren Ausmaß einer Abschiebung zustimmen.

Tabelle 4: Zusammenhang der Einstellungen zur Flucht und zum Asyl mit Variablen der ökonomischen Situation (Quelle: Austrian-Corona-Panel, Welle 9, gewichtete Daten, n= 1367 bis 1400, r=Pearsons Korrelationskoeffizient, p=einseitiges Fehlerniveau, taub=Kendalls tau-b)

Fazit

Die Österreicher*innen haben derzeit hinsichtlich der beiden erfassten Forderungen zum Themenkomplex Flucht und Asyl eine negative Haltung. Eine überwiegende Mehrheit befürwortet eine Abschiebung bei einem negativen Asylbescheid. Etwas positiver fällt das Meinungsbild bezüglich der Frage einer Aufnahme von Geflüchteten aus den griechischen Flüchtlingslagern aus. Aber auch dafür besteht keine Mehrheit.

Gleichwohl hat ein beträchtlicher Teil noch keine dezidierte Meinung, sondern ist unentschieden oder eher für bzw. gegen die befragten Aussagen.

Die Einstellungen in diesem Bereich hängen stark von der aktuellen Parteipräferenz ab. Dieser Zusammenhang ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass das Thema Flucht und Asyl stark politisiert ist und kaum sachlich diskutiert wird. Diese Politisierung und Polarisierung hat sich seit der Fluchtbewegung 2015 in Österreich verstärkt, es gab sie aber bereits früher. In Erinnerung gerufen sei hier nur das Ausländervolksbegehren von Jörg Haider mit dem Slogan „Österreich zuerst“, das 1992 initiiert und 1993 von mehr als 400.000 Österreicher*innen unterzeichnet wurde.

Ein Einstellungswandel durch eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage ist nicht zu erwarten. Die Einstellungen zu den beiden abgefragten Forderungen , welche die Österreicher*innen vertreten, sind mit einer Ausnahme weitgehend unabhängig von ihrer ökonomischen Situation und der Bewertung der wirtschaftlichen Entwicklung. Eine optimistischere Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung würde allerdings die Ablehnung eines Abschiebestopps etwas reduzieren.

Hinsichtlich sozio-demographischer Merkmale stimmen Österreicher*innen mit einer Matura oder höheren Bildung einer Aufnahme von Geflüchteten aus den griechischen Inseln stärker zu als jene ohne Matura. Sie lehnen auch eine Abschiebung eher ab. Eine stärkere Zustimmung zu einer Abschiebung ist dagegen bei älteren Befragten zu finden. Der zuvor genannte Bildungseffekt wurde in vielen Studien zur Fremdenfeindlichkeit gefunden und hängt u.a. mit vermittelten Wertorientierungen zusammen. Dass Bildung erst bei einer Matura oder einem noch höheren Abschluss zum Tragen kommt, deutet in Übereinstimmung mit anderen Studien darauf hin, dass in der Sekundarstufe I schulisch mehr getan werden könnte, um Vorurteile abzubauen und die in der österreichischen Bundesverfassung definierten Bildungsziele zu erreichen, wie sie §14, Abs. 5a der österreichischen Bundesverfassung festlegt: „(…)Jeder Jugendliche soll seiner Entwicklung und seinem Bildungsweg entsprechend zu selbständigem Urteil und sozialem Verständnis geführt werden, dem politischen, religiösen und weltanschaulichen Denken anderer aufgeschlossen sein sowie befähigt werden, am Kultur- und Wirtschaftsleben Österreichs, Europas und der Welt teilzunehmen und in Freiheits- und Friedensliebe an den gemeinsamen Aufgaben der Menschheit mitzuwirken.“ Demokratische Erziehung ist – wie Kurt und Gertrude Lewin in einem im Exil 1941 verfassten Aufsatz während der NS-Zeit festhalten – bereits in der Grundschule möglich.

Wissenschaftlich und politisch stellt sich die Frage, warum die schockierenden Bilder aus den griechischen Flüchtlingslagern nicht zu einem weitgehenden Einstellungswandel geführt haben. Dies zu untersuchen, erscheint wichtig. Angeknüpft werden könnte dabei etwa an Arbeiten von Marie Jahoda[2], die sie zum Thema Sicherheit, Konformität und Unabhängigkeit verfasst hat. So z.B. könnte mittels fokussierter Interviews experimentell analysiert werden, welche Reaktionen Bilder aus den griechischen Flüchtlingslagern auslösen und unter welchen Konstellationen Mitgefühl oder Angst überwiegt.


Johann Bacher ist Professor für Soziologie und empirische Sozialforschung am Institut für Soziologie der Johannes Kepler Universität Linz. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Methoden der empirischen Sozialforschung, soziale Ungleichheiten und die Soziologie des Abweichenden Verhaltens.