22.05.2020

Trotz guter Grünraumversorgung jedes zehnte Kind ohne wohnortnahe Grünfläche während der Corona-Betretungsverbote

  • Die Grünraumversorgung in Österreich ist insgesamt – auch in Städten – relativ gut. Nur 4,6% der Befragten in der Corona Panel Studie geben an, keine Grünfläche in ihrer Wohnumgebung zu haben.
  • Maximal eine öffentliche Grünfläche in der Wohnumgebung und gleichzeitig keinen eigenen Garten haben 27,8%. Durch die Schließung von Spiel- und Sportplätzen während der Corona-Krise hat sich dieser Anteil auf 31,8 % erhöht. Wären alle Parks geschlossen worden, wäre dieser Anteil 37,5 % gewesen.
  • Die Schließung der Spiel- und Sportplätze hat dazu geführt, dass jedes zehnte Kind und jeder zehnte Jugendlicher/jede zehnte Jugendliche über keine Grünfläche in der Wohnumgebung verfügt.
  • Bei einem erneuten Anstieg der Corona-Infektionen sollten Schließungen von Grünflächen wegen ihrer Mehrfachfunktion vermieden und eine regulierte Nutzung gefunden werden.

Von Johann Bacher

Die Maßnahmen zur Reduktion der Corona-Pandemie haben dazu geführt, dass der eigenen Wohnung und der Wohnumgebung mehr Bedeutung beigemessen wird. Ausflugsfahrten ins Grüne, Reisen in Städte oder andere Länder, Ausgehen, der Besuch eines Lokals und vieles mehr war und ist teilweise nicht mehr möglich. Bis zur Lockerung der Ausgangsbeschränkungen am 1.5.2020 war die Wohnumgebung der (Zufluchts-)Ort, wo man sich aufhalten, ausruhen, bewegen und/oder jemanden sehen konnte, dem man zunickte. Dies gilt vor allem für Kinder, für die Freiräume eine wichtige Funktion für ihre Persönlichkeitsentwicklung und für ihr Wohlbefinden haben. Wichtig hierbei ist, dass die Grünflächen frei zugänglich sind und unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten zulassen.

Daher ging das Corona-Panel auch der Frage nach, wie die Wohnumgebung der Befragten mit Grün ausgestattet ist. Nur 4,6 % aller Befragten gibt an, dass in ihrer Wohnumgebung keine Grünfläche sei (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Anteil unterschiedlicher Grünflächen (Quelle: Austrian Corona Panel Data, Welle 6, gewichtete Daten, n=1.518)

Mehr als die Hälfte der Befragten (51,8 %) berichten über einen (eigenen) Garten. In diesem hohen Anteil spiegelt sich die Tatsache wider, dass einerseits viele Österreicher*innen in ländlichen Gebieten in einem Eigenheim leben, andererseits aber auch in Städten Eigenheime oder Reihenhäuser eine begehrte Wohnform sind. 37 % der gemeldeten Hauptwohnsitze in Österreich sind Eigenheime (Statistik Austria 2019). Zudem sind die österreichischen Städte relativ grün. So gehört Wien mit einem Anteil nicht-versiegelter Fläche von 72% z.B. zu den grünsten Städten Europas.

Das skizzierte positive Bild trübt sich etwas ein, wenn ausgezählt wird, wie viele Personen ohne eigene Garten in der Wohnumgebung maximal eine der genannten Grünflächen haben. 27,8% der Befragten haben keine oder maximal eine öffentliche Grünfläche in ihrer Nähe. Die verfügbaren Grünflächen – sofern vorhanden – verteilen sich auf folgende Formen (nicht ausgeschlossen ist aufgrund der Art der Befragung, dass eine Person, die eine bestimmte Form nennt, davon in ihrer Wohnumgebung zwei oder mehr Grünflächen dieser Art hat): Wald/Wiese (31,7 %), Park (25,2 %), Innenhof mit Grünfläche (14,8 %), andere Grünfläche (14,6 %), Spielplatz mit Spielgeräten (7,3 %), Gemeinschaftsgarten (4,6 %) und Sportplatz (1,8 %).

Auswirkungen der Schließung von Grünflächen während Corona-Krise

Rechnet man jene Grünflächen weg, die während der restriktiven Corona-Maßnahmen ab 16.3.2020 geschlossen waren („Corona-Betretungsverbote“), nämlich Spielplätze (nicht explizit in der Verordnung genannt, aber durch Beschluss auf Landes- oder Gemeindeebene) und Sportplätze (per Verordnung), erhöht sich der Anteil der Personen, die nur maximal über eine Grünfläche verfügen, auf 31,8 %. Wären alle Parks geschlossen worden, würden 37,5% maximal eine Grünfläche in ihrer Wohnumgebung haben. Der Anteil der Personen ohne Grün in der Wohnumgebung hätte sich dann auf 14,1 % etwa verdreifacht.

Tabelle 1: Auswirkungen der Schließung von Grünflächen auf die Versorgung von Grünflächen in der Wohnumgebung
keinermaximal einer

Anteil der Befragten mit ….öffentlichen Grünfläche und keinen Garten

4,6%27,8%

Anteil der Befragten mit …. öffentlichen Grünfläche und keinen Garten nach Schließung der Sport- und Spielplätzen mit Geräten

6,8%31,8%

Anteil der Befragten mit maximaler einer öffentlichen Grünfläche und keinen Garten nach Schließung der Sport- und Spielplätzen mit Geräten, wenn zusätzlich noch alle Parks geschlossen worden wären

14,1%37,5%

Quelle: Austrian Corona Panel Data, Welle 6, gewichtete Daten, n=1.518. Anmerkung: Zu Parkschließungen kam es vor allem in Wien. Geschlossen wurden die Bundesparks (Schönbrunner Schlosspark, Augarten, Burggarten, Volksgarten undr Belvederegarten) (https://www.derstandard.at/story/2000116419056/in-wien-bleiben-schoenbrunn-und-andere-bundesgaerten-geschlossen)

Für die Kinder und Jugendlichen bedeuteten die Maßnahmen: Nach der Schließung von Spiel- und Sportplätzen hatte etwa jedes zehnte Kind keine Grünfläche mehr in der Wohnumgebung. Unterschiede nach Alter bestehen nicht (siehe Abbildung 2). Unterschiede bestanden in der Situation vorher: Der Anteil ohne Verfügbarkeit einer Grünfläche erhöhte sich bei den 0- bis 6-Jährigen von 3,4 % auf 10,5 %. Bei Jugendlichen zwischen 15 und 18 Jahren bestanden bereits vorher „Defizite“ in der wohnortnahen Grünraumversorgung, die möglicherweise auch dadurch entstanden sind, dass ein Spielplatz für diese Altersgruppe als nicht „verfügbar“ betrachtet wurde, was in vielen Fällen ja auch zutreffend ist. Im Unterschied zur Situation vor Corona war es Jugendlichen aber nach den Ausgangsbeschränkungen nicht mehr möglich, weiter weggelegene Grün- und Freiflächen aufzusuchen, sodass auch sie auf ihre Wohnumgebung angewiesen waren.

Abbildung 2: Anteil von Kindern und Jugendlichen ohne Grünfläche vor und nach der Schließung von Spiel- und Sportplätzen (Quelle: Austrian Corona Panel Data, Welle 6, gewichtete Daten, n(0-5 J.)=223; n(6-14 J.)=367; n(15-18 J.)=204)

Einflussfaktoren auf das Fehlen von öffentlichen Grünflächen

Ob in der Wohnumgebung wenig Grünflächen (maximal eine Form) zur Verfügung stehen, hängt u.a. direkt von vier Faktoren ab (siehe Abbildung 3): dem Wohnort, der Zahl erwachsener Haushaltsmitglieder, dem Haushaltseinkommen und dem Alter. Wenig überraschend sind in Städten und/oder bei geringem Einkommen weniger Grünflächen in der Nähe der Wohnung verfügbar. Bei mehr erwachsenen Haushaltsmitglieder verhält es sich umgekehrt. Es stehen mehr Grünflächen in der Wohnumgebung zur Verfügung, was zum Teil dadurch bedingt ist, dass ein höheres Haushaltseinkommen verfügbar ist. Schließlich berichten ältere Befragte, weniger oft mit fehlenden Grünflächen konfrontiert zu sein. Im Hintergrund wirken neben der Haushaltsgröße das Geschlecht und die Bildung über das Haushaltseinkommen auf die Verfügbarkeit von Grünflächen ein. Weibliche Befragte berichten über ein geringeres Haushaltseinkommen, Befragte mit höherer Bildung über ein höheres.

Abbildung 3: Direkte und indirekte Einflussfaktoren auf die Versorgung mit Grünflächen (Quelle: Austrian Corona Panel Data, Welle 6, gewichtete Daten, n=1.078, *Stadt = Proxyvariable, geschätzt über Anteil der Bevölkerung in Städten mit mehr als 30.000 Einwohner*innen je Bundesland, nur signifikante Pfadkoeffizienten mit einem Absolutbetrag größer/gleich 0.10, weitere einbezogene Variable ohne bedeutsame Einflüsse: Migrationshintergrund, Wohnungsenge)

Grünraumversorgung für die Zukunft

Für die Grünraumversorgung in Österreich ergibt sich aufgrund unserer Daten insgesamt ein positives Bild. Als Vorteil während der Pandemie hat sich dabei gezeigt, dass Grünflächen – bis auf Ausnahmen – auch wohnortnahe zur Verfügung stehen. Einschränkend muss angemerkt, dass die Größe der jeweiligen Grünfläche und ihre Nutzbarkeit für unterschiedliche Gruppen (Kinder, Jugendliche, Erwachsene) in den Befragungsdaten nicht bekannt sind. Die Nutzbarkeit kann z.B. durch Verbote, wie „Ballspielen verboten“, „Betreten der Grünfläche verboten“ usw., eingeschränkt sein oder durch eine zu kleine Größe der Grünfläche. Corona sollte daher von Gemeinden und Städten zum Anlass genommen werden, zu prüfen, ob wohnortnahe für alle Bewohner*innen ausreichend (große) Grünflächen bzw. zumindest Freiflächen verfügbar sind, die mehrfach nutzbar sind und den unterschiedlichen Bedürfnissen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen unterschiedlicher Alterskategorien Rechnung tragen.

Aus unseren Daten lässt sich direkt kein allgemeines Plädoyer für mehr Grün ableiten, aber mehr Grün schadet bestimmt nicht und im Hinblick auf eine Pandemie ist mehr und unterschiedliches Grün in der Wohnumgebung wünschenswert. Eine weitere Erhöhung des Grünanteils würde sich außerdem positiv auf das Klima auswirken und wäre somit ein wichtiger ökologischer Beitrag. Zum Ausbau von Grünflächen liegen schon vielfach interessante Ideen und Vorschläge vor (siehe z.B. Grünbuch Stadtgrün, Handelsblatt 2018, Handlungsziele für Stadtgrün und deren empirische Evidenz).

Ergänzen möchte ich bezüglich Nutzung eine Initiative aus OÖ, bei der der eigene Garten mit anderen geteilt wird. Das schafft zwar nicht mehr Grün, kann aber Personen einen Zugang zu einer Grünfläche ermöglichen.

Alternativen zur Schließung von Sport- und Spielplätzen

Aufgrund der Ergebnisse und der besonderen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen nach Freiräumen ist abschließend festzuhalten, dass bei einer eventuellen zweiten Welle der Corona-Pandemie mit Schließungen von Spiel- und Sportplätzen sehr vorsichtig umgegangen werden sollte. Es sollte erwogen werden, anstelle einer Schließung eine regulierte Nutzung und Anfahrt zu möglichen, z.B. durch die Ausgabe von Tickets oder durch die Betreuung eines Freizeitpädagogen/einer Freizeitpädagogin oder eines Trainer/einer Trainerin.


Johann Bacher ist Professor für Soziologie und empirische Sozialforschung am Institut für Soziologie der Johannes Kepler Universität Linz. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Methoden der empirischen Sozialforschung, soziale Ungleichheiten und die Soziologie des Abweichenden Verhaltens.