16.04.2020

Staat - Aber für wen? Wie Österreich über die Verteilung staatlicher Beihilfen in der Corona-Krise denkt

  • Die Hälfte der befragten Österreicher*innen sind unschlüssig in der Frage, ob „die Regierung jetzt in erster Linie Unternehmen stärken, anstatt Arbeitnehmer*innen direkt unterstützen“ sollte. Nur eine Minderheit hat dazu eine klare Meinung: 18% sind dafür, und 28% dagegen.
  • Ein Vergleich von Befürworter*innen und Ablehnenden zeigt, dass vor allem ideologische und ökonomische Faktoren die Unterschiede erklären – andere demografische Charakteristika spielen eine vergleichsweise nachrangige Rolle.

Von Lukas Schlögl

Wer verdient in der Corona-Krise besondere Unterstützung? Wie sollen die wirtschaftlichen Lasten der Krisenbewältigung verteilt werden? Die Corona Krise eröffnet eine Reihe von Verteilungsfragen – und wie diese gelöst werden, hat langfristigen Auswirkungen.

Im Rahmen der gerade laufenden Panelumfrage der Universität Wien zur Corona-Krise wurde die Zustimmung einer repräsentativen Stichprobe (n=1.541) der österreichischen Bevölkerung zu folgender Aussage erhoben: „Die Regierung sollte jetzt in erster Linie Unternehmen stärken, anstatt Arbeitnehmer*innen direkt zu unterstützen“.

Die Debatte darüber, wie man die negativen Effekte der Corona-Krise am besten mildert, ist komplex, und sie polarisiert. Was ist effektiver: Staatshilfe für Unternehmen, auch damit Jobs erhalten bleiben – etwa durch günstige Kredite oder Subventionen? Oder direkte Unterstützung für Bürger*innen – etwa durch Lohnfortzahlungen oder Transferleistungen an Menschen mit niedrigen Einkommen (wie es zum Beispiel in den Vereinigten Staaten passiert?) Und was ist gerechter? Die Debatte ruft weltanschauliche Bekenntnisse rund um das Thema Leistungs- und soziale Gerechtigkeit ab – fragt implizit aber auch nach dem Lokus ökonomischer Macht: Sollen Arbeitnehmer*nnen direkt in den Genuss öffentlicher Leistungen kommen dürfen oder sollen diese im Wege des unternehmerischen Erfolgs mit unterstützt werden? Die Frage ist also nicht „Markt oder Staat?“, sondern: „Staat – aber für wen?“

Wer stimmt zu?

Knappe 18% der Befragten in unserer Umfrage stimmen der Aussage „eher“ oder „voll und ganz“ zu, dass die Regierung jetzt in erster Linie Unternehmen stärken sollte, anstatt Arbeitnehmer*nnen direkt zu unterstützen. Nennen wir sie das „Pro“-Lager. Knappe 28%, also deutlich mehr, sind „eher“ oder „voll und ganz“ dagegen – das „Contra“-Lager. Die Hälfte der Befragten – und damit die größte Gruppe – ist jedoch unschlüssig („Teils-teils“); der Rest enthielt sich der Antwort.

Abbildung 1: Zustimmung zur Aussage' „Die Regierung sollte jetzt in erster Linie Unternehmen stärken, anstatt Arbeitnehmer*innen direkt zu unterstützen“. Quelle: Austrian Corona Panel Data; N = 1.541.

Wer sind die Befürworter*innen, wer die Gegner*innen? Wir nähern uns diesen Fragen im Folgenden, indem wir Eigenschaften der Pro- und Contra-Lager einander gegenüberstellen.

Im Westen nichts Neues

Soziodemografische Faktoren haben bei vielen politischen Belangen eine hohe Erklärungskraft: Oft können wir politischen Neigungen und Verhalten allein auf der Grundlage von Alter und Geschlecht gut vorhersagen. Im vorliegenden Fall ist es komplizierter: Frauen und Männer sind sich in ihrer Einschätzung ähnlich. Auch das Alter spielt keine herausragende Rolle – Ausnahme ist die beruflich nicht mehr aktive Generation 70+, in der das Contra-Lager dominiert. Im regionalen Vergleich zeichnet sich mit Ausnahme Wiens eine leichtes Ost-West Gefälle ab: der Westen ist unternehmer*innenfreundlicher, der Osten arbeitnehmer*innenfreundlicher. Soweit, so aus der wirtschaftlichen Geografie Österreichs erwartbar. Beim Bildungsstand finden sich die größten Unterschiede: Die Ablehnung der unternehmer*innenfreundlichen Aussage ist bei Personen mit einem Hochschulabschluss um etwa 20 Prozentpunkte höher als bei jenen, die ihre Ausbildung mit einer Matura abschlossen. Das steht wiederum mit den Erkenntnissen der politischen Soziologie in Einklang.

Abbildung 2: Zustimmung nach soziodemografischen Faktoren. Quelle: Austrian Corona Panel Data; N = 1.541.

It’s the economy…?

Weiter zum ökonomischen Status: Hier präsentiert sich ein differenziertes, nicht ganz widerspruchsfreies Bild. Die größte Ablehnung der genannten Aussage finden wir bei der so genannten „unteren Mittelschicht“, d.h. bei Personen, die (im Februar 2020) über ein monatliches Netto-Haushaltseinkommen (inklusive Transfers) zwischen EUR 1.800 und 2.200 verfügten. Die unteren Einkommensschichten stehen dagegen der Idee, „Unternehmen zu stärken, anstatt Arbeitnehmer*nnen direkt zu unterstützen“ deutlich aufgeschlossener gegenüber – sie sind es in etwa demselben Ausmaß wie die gehobene Mittelschicht. Würde man Friedrich Engels diese Zahlen vorlegen, spräche er dann von „falschem Bewusstsein“?

Abbildung 3: Zustimmung nach ökonomischem Status. Quelle: Austrian Corona Panel Data; N = 1.541.

Interessant ist auch ein Vergleich der Positionen je nachdem, ob sich die berufliche Situation der Befragten aufgrund der Corona-Krise verändert hat. Jene Menschen, die vor kurzem gekündigt wurden, die in den Urlaub geschickt wurden, oder die momentan Zeit abbauen, stehen der Idee, der Staat solle in erster Linie Unternehmen stärken, eher skeptisch gegenüber. Das ist plausibel, denn diese Gruppe sieht sich im Fall der „Stärkung von Unternehmen“ wohl zurecht nicht unter den Profiteuren.

Pandemie und Ideologie

Abschließend ein Blick auf politische Orientierung, wo wir die deutlichsten Muster sehen. Eine subjektive Einordnung auf einer Links-Rechts-Skala ist mit dem Pro- bzw. Contra-Lager stark korreliert. Das Stimmverhalten bei der letzten Nationalratswahl verrät ferner einen Zusammenhang zwischen parteipolitischer Präferenz und Position zur Frage, wer in der Krise unterstützt werden soll. Unter Wähler*innen der KPÖ lehnen 88% die Idee ab, dass die Regierung jetzt in erster Linie Unternehmen, und nicht Arbeitnehmer*innen stärken soll. Bei den Wähler*innen der ÖVP halten sich Zustimmung und Ablehnung etwa die Waage. Mit Blick auf die derzeit im Parlament vertretenen Parteien ist der Unterschied zwischen Wähler*innen der beiden Regierungsparteien in dieser Frage interessanterweise am größten.

Abbildung 4: Zustimmung nach politischer Orientierung. Quelle: Austrian Corona Panel Data; N = 1.541.

Fazit

Eine erste deskriptive Auswertung des Antwortverhaltens in Bezug auf die Frage, ob die österreichische Regierung momentan vor allem Unternehmen oder Arbeitnehmer*innen direkt stärken solle, zeigt manche erwartbare und einige unerwartete Ergebnisse: Wenig überraschend ist die Ablehnung dieser Position bei Personen, die sich politisch „links“ einordnen, bei wirtschaftlich unter Druck geratenen, und bei Akademiker*innen. Vielleicht unerwartet ist dagegen die vergleichsweise hohe Zustimmung zur primären Unterstützung von Unternehmen bei der Generation über 70 und in den untersten Einkommensschichten.


Lukas Schlögl (Univ.-Ass. | Post Doc) ist Politologe am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien und Teil der Forschungsgruppe Zeitgenössische Solidaritätsstudien.