18.04.2020

Stopp-Corona Selbermachen? Von Blockwarten, die es vielleicht gar nicht so meinen und anderen Anti-Corona-Aktivist*innen

  • Im Alltag gibt es unterschiedliche zwischenmenschliche Situationen, in denen Mitbürger*innen mit (kommunikativen) Handlungen verantwortliches Handeln von ihren Mitmenschen in der Corona-Krise einfordern können (Anti-Corona-Aktivismus).
  • Das Ausmaß des Anti-Corona-Aktivismus in Österreich ist eher bescheiden.
  • 18% überlegen zuweilen, Menschen, die sich nicht an die Maßnahmen halten, Behörden zu melden.
  • Diese Menschen haben eine sehr hohe Gefahrenwahrnehmung und ein starkes Gemeinschaftsgefühl.
  • Mit der pauschalen Zuschreibung einer “Blockwart”-Mentalität wird dieser Gruppe Unrecht getan.

Von Jakob-Moritz Eberl, Julia Partheymüller, Noelle S. Lebernegg und David W. Schiestl

Die letzten Wochen waren die wohl ungewöhnlichsten unseres bisherigen Lebens. Die Pandemie hat nicht nur immense Auswirkungen auf unser aller Alltag, sondern auch auf unseren Umgang miteinander. Alltägliche Dinge, wie der Weg zum Supermarkt, bringen ein nicht unerhebliches gesundheitliches Risiko mit sich, während andere Gewohnheiten, wie das Treffen von Freunden oder Familie, gar untersagt sind.

In vielen Mitbürger*innen bringt diese Zeit das Beste zum Vorschein. Man sorgt sich umeinander und will niemanden im Stich lassen; es scheint ein ganz neues Gefühl der Solidarität aufzukommen. Bei aller neu gefundenen Selbstlosigkeit und gesellschaftlichem Zusammenhalt zeigt sich aber auch ein anderes Bild. Während anfangs gegen Mitmenschen, die sich nicht an die Maßnahmen (z. B.  Abstandsregeln im Park) halten, vor allem in den sozialen Medien sogenanntes "Shaming" betrieben wurde, häufen sich mittlerweile die privaten Anzeigen ob vermeintlicher Verstöße gegen die verordneten Maßnahmen.

Es machen sich erste Sorgen breit, ob wir denn am Anfang eines neuen Polizeistaates stünden. Lässt gar Metternich grüßen? Was motiviert diese vermeintlichen Blockwarte? Lust am Strafen, Bespitzeln und Denunzieren? Oder handelt es sich um andere Beweggründe? Genau diesen Fragen versuchen wir, mit den Daten der dritten Befragung des Austrian Corona Panel Projects zu beantworten.

Wenige und missverstandene Blockwarte?

Im Alltag gibt es unterschiedliche zwischenmenschliche Situationen, in denen Mitbürger*innen mit (kommunikativen) Handlungen verantwortliches Handeln von ihren Mitmenschen in der Krise einfordern können. Um diese verschiedenen Formen des Anti-Corona-Aktivismus zu vergleichen, haben wir in einem Teil unserer Befragung die Zustimmung zu vier Aussagen erhoben; die ersten drei haben wir einer Studie der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz entlehnt.

Tatsächlich zeigen sich die Österreicher*innen nicht als überbordende Anti-Corona-Aktivist*innen (Abbildung 1). Deren größte Motivation besteht darin, in Diskussionen Zweifler*innen von der Ernsthaftigkeit der Krise zu überzeugen (43% sagen “trifft voll und ganz zu” oder “trifft eher zu”). Weitere 29,8% sind dazu bereit, andere Personen beim Einkaufen oder auf der Straße darum zu bitten, die Abstandsregeln einzuhalten. Schon deutlich geringer ist der Anteil an Befragten, den Hamsterkäufer*innen im Supermarkt spüren zu lassen, dass ihr Verhalten missbilligt wird (19,8% sagen “trifft voll und ganz” oder “trifft gar eher zu”). Nur eine Minderheit überlegt, andere Menschen bei den Behörden zu melden, sollten diese sich nicht an die Corona-Maßnahmen halten (17,7%).

Abbildung 1: Bereitschaft zu Anti-Corona-Aktivismus (Anmerkungen: Feldzeit: 10.-16. April 2020, N=1.500 befragte Personen (ab 14 Jahre), Daten repräsentativ für die österreichische Wohnbevölkerung gewichtet.)

Aber was bewegt diese Menschen, ihre Mitmenschen im Zweifelsfall anzuzeigen? Um den dahinter liegenden Motivationen auf den Grund zu gehen, wurden weitere Fragen aus unserer Befragung herangezogen. Dabei haben wir zunächst untersucht, ob und inwiefern diese Form des Anti-Corona-Aktivismus mit der Gefahrenwahrnehmung der Befragten in Zusammenhang steht, d.h. inwiefern sie mit der Einschätzung über persönliche und kollektive gesundheitliche und wirtschaftliche Gefahr korrelieren. Außerdem haben wir analysiert, inwiefern das empfundene Gemeinschaftsgefühl eine Rolle für die Bereitschaft zur behördlichen Meldung von Maßnahmenmissachtungen spielt. Dabei handelt es sich um die Einschätzung über den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Krisensituation (für Frageformulierungen und Hinweise zur Indexbildung siehe Anhang).

In beiden Fällen zeigt sich ein positiver Zusammenhang (siehe Abbildung 2a und Abbildung 2b): Je höher die Gefahrenwahrnehmung sowie das Gemeinschaftsgefühl, desto größer ist auch die Bereitschaft, andere Menschen im Falle der Nichteinhaltung der Corona-Maßnahmen bei den Behörden zu melden. Beispielsweise würden nur 12,6% der Personen mit sehr niedriger Gefahrenwahrnehmung, Mitbürger*innen bei den Behörden melden. Bei jenen mit sehr hoher Gefahrenwahrnehmung liegt er allerdings bei knapp 40%. Etwas schwächer ist der Kontrast beim Gemeinschaftsgefühl: Ist dieses sehr schwach ausgeprägt, würden lediglich 13,8% der Personen ihre Mitbürger*innen melden, während bei Befragten mit sehr großem Gemeinschaftsgefühl dies 22,4% wären.

Abbildung 2a: Wirkung der Gefahrenwahrnehmung auf die Bereitschaft, Menschen, die sich nicht an Maßnahmen halten, den Behörden zu melden (Anmerkungen: Feldzeit: 10.-16. April 2020, N=1.500 befragte Personen (ab 14 Jahre), Daten repräsentativ für die österreichische Wohnbevölkerung gewichtet.)

Abbildung 2b: Wirkung des Gemeinschaftsgefühls auf die Bereitschaft, Menschen, die sich nicht an Maßnahmen halten, den Behörden zu melden (Anmerkungen: Feldzeit: 10.-16. April 2020, N=1.500 befragte Personen (ab 14 Jahre), Daten repräsentativ für die österreichische Wohnbevölkerung gewichtet.)

Nennen wir sie nicht mehr Blockwarte

Der tatsächliche Anteil der Bevölkerung, der die behördliche Meldung von Verstößen gegen die Corona-Maßnahmen in Betracht ziehen würde, ist somit relativ klein. Außerdem konnten wir zeigen, dass die Motivation hinter diesem Verhalten möglicherweise weniger durch ein Denunzianten- oder Nörglertum befeuert wird als durch eine genuine Sorge um die Gefahren, die von dem Virus und seiner ungehemmten Verbreitung ausgehen. Die Motivation hinter den gegenwärtig hohen Zahlen an Anzeigen scheinen vielmehr durch eine unterschiedliche Einschätzung der Gefahrenlage und eines unterschiedlich stark empfundenen Gemeinsinns bedingt zu sein. Dabei spielt die Gefahreneinschätzung eine noch größere Rolle als der Gemeinschaftssinn. Sicherlich sind unbegründete und böswillig motivierte Anzeigen nicht gänzlich auszuschließen, jedoch deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass wir der Summe der Personen, die dieser Tage tatsächlich Anzeige erstatten, mit der pauschalen Zuschreibung einer “Blockwart”-Mentalität Unrecht täten.

Es stellt sich letztlich dennoch die Frage, ob die Erstattung einer Anzeige gegen Nachbar*innen oder auch Unbekannte die beste und vor allem sinnvollste Lösung ist. Ob eine behördliche Meldung zielführend ist, hängt nicht zuletzt auch damit zusammen, inwiefern die beobachtete Handlung dem Ziel der Maßnahmen widerspricht, also die Eindämmung des Virus verhindert. Man bedenke: Nicht jeder Smalltalk auf der Straße zwischen sich zufällig begegnenden Bekannten entwickelt sich sofort zu einer rücksichtslosen “Straßenparty” unter Corona-Skeptikern.

Anhang


Jakob-Moritz Eberl ist seit April 2017 Projektmitarbeiter (Post-Doc) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und seit 2013 Mitglied der österreichischen Nationalen Wahlstudie (AUTNES, Media Side). Er ist außerdem assoziierter Wissenschafter im Vienna Center for Electoral Research (VieCER) und beschäftigt sich unter anderem mit Fragen zu Medienwirkung, Medienvertrauen und Wahlverhalten.

Julia Partheymüller arbeitet als Senior Scientist am Vienna Center for Electoral Research (VieCER) der Universität Wien und ist Mitglied des Projektteams der Austrian National Election Study (AUTNES). Sie promovierte in Sozialwissenschaften an der Universität Mannheim und studierte Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und Universität Hamburg.

Noelle S. Lebernegg ist Universitätsassistentin (Prae-Doc) am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie assoziierte Wissenschafterin im Vienna Center For Electoral Research (VieCER). Sie beschäftigt sich mit den Auswirkungen politischer Kommunikation und Medien auf die öffentliche Meinung und Wahlverhalten.

David W. Schiestl ist als Doktorand am Institut für Wirtschaftssoziologie tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Arbeitsmarkt, Migration, Organisation und Sozialpsychologie.


 

Nachtrag

Wir haben uns natürlich auch alternative Erklärungsmuster angesehen. Insbesondere würde man bei einem sogenannten „Blockwart“ oder Denunziant*innen erwarten, dass diese Lust am Denunzieren haben; motiviert durch eine autoritäre Persönlichkeitsstruktur und entsprechende Wertvorstellungen.
Wir würden daher erwarten, dass es sich in der Tendenz eher um Männer, eher um ältere Personen, eher um niedrig Gebildete und eher um Personen mit einem rechten Weltbild handelt. Solche Zusammenhänge konnten wir aber nur sehr bedingt feststellen. Wenn Sie da waren, waren sie schwindend gering (siehe Abbildung 3a-3d).

Auch wenn man dieses Verhalten nicht als besonders tugendhaft verstehen muss, scheint es doch anders motiviert als es vor der Corona-Krise zu erwarten war. Klassische Muster, die bei einer autoritären Persönlichkeitsstruktur zu erwarten wären, finden wir nicht. Das Verhalten scheint stattdessen eher situativ an die aktuelle Krisensituation gebunden.

Abbildung 3a-3d: Zusammenhang zwischen Geschlecht/Alter/Bildung/Ideologie und Bereitschaft, Menschen, die sich nicht an Maßnahmen halten, den Behörden zu melden (Anmerkungen: Feldzeit: 10.-16. April 2020, N=1.500 befragte Personen (ab 14 Jahre), Daten repräsentativ für die österreichische Wohnbevölkerung gewichtet).