18.10.2022 - PDF

Wer ist schuld am Krieg in der Ukraine? Sichtweisen aus der österreichischen Bevölkerung

  • Die überwiegende Mehrheit der österreichischen Bevölkerung sieht die Verantwortung für den Krieg in der Ukraine bei Russland (84%).
  • Es bestehen deutliche Unterschiede nach Impfstatus bei den Schuldzuweisungen: Mit 88% sieht der Großteil der geimpften Personen in Russland den Hauptschuldigen am Krieg, während dies nur 62% der nicht geimpften Personen tun. Letztere weisen häufig auch den USA (66%), der NATO (61%), der Ukraine (50%) und der EU (43%) die Schuld zu.
  • Zudem bestehen Unterschiede nach Parteipräferenz und der Nutzung von sozialen Medien: Wähler*innen von ÖVP, SPÖ, den Grünen sowie den NEOS sind sich weitgehend einig, dass Russland (85-93%) die Hauptschuld am Krieg trage, während nur rund zwei Drittel der Wähler*innen von FPÖ und MFG diese Auffassung teilen. Insbesondere Telegram-Nutzer*innen sehen Russland am seltensten (45%) als verantwortlichen Akteur an. 

Von Florian Holl, Jakob-Moritz Eberl und Julia Partheymüller

Am 24. Februar 2022 begann der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine. Während laufend neue Berichte über begangene Kriegsverbrechen in der Ukraine veröffentlicht werden, zirkulieren auch vielfältige Narrative, die die Schuld am russischen Einmarsch bei anderen Akteur*innen suchen. Unter anderem werden solche Narrative auch auf Corona-Demonstrationen öffentlich verbreitet. Die Verschränkung dieser inhaltlich sehr unterschiedlichen Themen mag auf den ersten Blick überraschend erscheinen. Bereits in einem früheren Blog konnten wir zeigen, dass ein Zusammenhang zwischen der Unterstützung von Corona-Demonstrationen und Verschwörungsglauben besteht. Darüber hinaus zeigt eine Studie des deutschen Thinktanks CeMAS, dass Menschen ohne COVID-Schutzimpfung eher an Verschwörungserzählungen über den russischen Angriff auf die Ukraine glauben als Geimpfte. Um diese Korrelation auch für Österreich untersuchen zu können, stellten wir im Rahmen des Austrian Corona Panel Projects (ACPP) Ende Mai 2022 den Umfrage-Teilnehmer*innen die Frage, wem sie die Schuld an dem Krieg in der Ukraine zusprechen[1]. Im Folgenden berichten wir die Ergebnisse auf diese Frage und stellen die Antwortverteilungen nach Impfstatus, Parteipräferenz sowie Social-Media-Nutzung dar[2].

Russland klar als verantwortlicher Akteur angesehen

Abbildung 1 macht deutlich, dass sich die österreichische Bevölkerung großteils einig ist, dass Russland die Verantwortung für den Krieg in der Ukraine trägt (84%). Allerdings wird die Schuld nicht allein bei Russland gesucht: immerhin 27% sind der Ansicht, dass auch die Ukraine nicht frei von Schuld am Krieg im eigenen Land ist. Häufiger werden auch noch die USA (35%) sowie die NATO (30%) in die Pflicht genommen; bei den meisten Befragten spielt die EU eine eher untergeordnete Rolle (19%).

Abbildung 1: Schuldzuweisung am Krieg in der Ukraine (Daten: ACPP, 20.-29.5.2022; Grundgesamtheit: Wohnbevölkerung ab 14 Jahren; gewichtet)

Personen ohne Corona-Impfung sehen Kriegsschuld häufiger beim Westen und seltener bei Russland im Vergleich zu Personen mit Corona-Impfung

Abbildung 2 zeigt, wem geimpfte und nicht geimpfte Österreicher*innen Schuld am Einmarsch Russlands in die Ukraine zuweisen. Bei jenen Befragten, die mindestens eine COVID-Schutzimpfung erhalten haben, wird Russland eindeutig die Hauptverantwortung (88%) am Krieg in der Ukraine zugesprochen. Weit dahinter liegen die USA (28%), die NATO (23%), die Ukraine (22%) und die EU (14%). Personen ohne Corona-Impfung sehen die Schuld hingegen häufiger beim Westen und seltener bei Russland als die Geimpften. Laut ihnen tragen die USA (66%), die NATO (61%) und Russland (62%) etwa ähnlich viel Verantwortung am Ukraine-Krieg. Auch die Ukraine (50%) und die EU (43%) werden von ihnen häufiger für den Krieg verantwortlich gemacht.

Abbildung 2: Schuldzuweisung am Krieg in der Ukraine nach Impfstatus (Daten: ACPP, 20.-29.5.2022; Grundgesamtheit: Wohnbevölkerung ab 14 Jahren; gewichtet)

Schuldzuweisung an USA und NATO im MFG- und FPÖ-Wählerpotenzial

Abbildung 3 schlüsselt die Frage der Schuldzuweisung nach Parteipräferenz auf. Anhand der Sonntagsfrage zeigt sich, dass ein sehr hoher Anteil potenzieller Wähler*innen der NEOS (93%), der Grünen (91%), der SPÖ (88%) sowie der ÖVP (85%) die Auffassung vertreten, Russland trage die Hauptverantwortung am Krieg in der Ukraine. Befragte, die bei einer bevorstehenden Wahl die FPÖ oder die impfskeptische Partei MFG wählen würden, sehen insbesondere die USA und die NATO als mitschuldig.

Abbildung 3: Schuldzuweisung am Krieg in der Ukraine nach Parteipräferenz (Daten: ACPP, 20.-29.5.2022; Grundgesamtheit: Wohnbevölkerung ab 14 Jahren; gewichtet)

Parallelwelt auf Telegram

Abbildung 4 zeigt die Schuldzuweisung nach Social-Media-Nutzung. Als Nutzer*innen wurden jeweils Befragte definiert, die zumindest mehrmals in der Woche eine der abgefragten Plattformen verwenden. Für die meisten Plattformen (d.h. Facebook, Twitter, Instagram, Youtube und WhatsApp) zeigt sich dabei, dass Russland (72-78%) mit großem Abstand am ehesten die Schuld für den Krieg in der Ukraine zugesprochen wird. Auch Personen, die keine sozialen Medien nutzen, halten Russland am häufigsten für verantwortlich (85%). Ein ganz anderes Bild zeigt sich allerdings bei Telegram-Nutzer*innen: Weniger als die Hälfte dieser Nutzer*innen (45%) sieht die Schuld bei Russland; stattdessen werden die EU (47%), die Ukraine (52%) und vor allem die USA (64%) und NATO (66%) als verantwortliche Akteure gesehen.

Abbildung 4: Schuldzuweisung am Krieg in der Ukraine nach Social-Media-Nutzung (Daten: ACPP, 20.-29.5.2022; Grundgesamtheit: Wohnbevölkerung ab 14 Jahren; gewichtet)

Fazit: Überlappender Dissens

Insgesamt zeigt sich, dass es in Österreich eine starke Verschränkung zwischen Impfstatus, Parteiwahl, Social-Media-Nutzung und der Wahrnehmung des Krieges in der Ukraine gibt. Obwohl Russland von den Österreicher*innen überwiegend als verantwortlich für den Krieg angesehen wird, weichen die Meinungen von Personen ohne Corona-Schutzimpfung, Wähler*innen der FPÖ und MFG sowie Telegram-Nutzer*innen davon ersichtlich ab. Sie sehen die Schuld eher bei Russland und dem Westen  gleichermaßen.

Unsere Ergebnisse bestätigen die Ergebnisse der oben genannten CeMAS Studie zum Verschwörungsglauben im Kontext des völkerrechtswidrigen Angriffs Russlands auf die Ukraine für Österreich. Als möglichen gemeinsamen Nenner hinter den beobachteten Mustern kann man unter anderem populistische Weltanschauungen und die damit verbundenen Einstellungen, insbesondere das geringe Vertrauen gegenüber politischen Institutionen und etablierten Medien sehen[3]. Ein solch überlappender Dissens über ganz unterschiedliche Themen hinweg stellt eine Herausforderung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie dar, da er eine Verständigung auf gemeinsame Sichtweisen, die die Basis politischer Entscheidungen darstellen, nachhaltig erschwert.­


Florian Holl arbeitet als Studienassistent am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien und ist Teil des Teams des Austrian Corona Panel Project (ACPP). Er studiert im Bachelorstudiengang Politikwissenschaft.

Jakob-Moritz Eberl arbeitet als Senior Scientist am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und ist assoziierter Wissenschafter im Vienna Center for Electoral Research (VieCER). Er ist außerdem Mitglied des Projektteams des Austrian Corona Panel Projects (ACPP) und der Austrian National Election Study (AUTNES).

 

Julia Partheymüller arbeitet als Senior Scientist am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien. Sie ist Mitglied des Vienna Center for Electoral Research (VieCER) und des Projektteams des Austrian Corona Panel Projects (ACPP) und der Austrian National Election Study (AUTNES).


Fußnoten

[1] Im Sinne der Vergleichbarkeit haben wir dieselbe Fragebatterie wie CeMAS verwendet.

[2] Die zentralen Ergebnisse dieses Blogs wurden bereits im profil am 23.07.2022 veröffentlicht. Zu Dokumentationszwecken stellen wir die Ergebnisse hier im Corona-Blog nochmals bereit.

[3] Anhand der vorliegenden Befragungsdaten können wir über die zugrundeliegenden Ursachen, warum diese Merkmale miteinander verschränkt sind, nur spekulieren und weitergehende Analysen wären erforderlich, um die Rolle der zugrundeliegenden Prädispositionen näher zu ergründen.