12.05.2020

Das bedingungslose Grundeinkommen bleibt weiterhin umstritten

  • Die Corona-Krise hat die Zustimmung zu einem bedingungslosen Grundeinkommen in Österreich insgesamt nicht wachsen lassen. Die Zahl der Menschen, die dafür und dagegen sind, hält sich wie bereits bei einer 2016 durchgeführten Umfrage ungefähr die Waage. 
  • Selbständig Erwerbstätige, Studierende und arbeitslose Menschen sind eher für ein BGE als unselbständig Erwerbstätige und Pensionist*innen. Das BGE stößt gerade bei jenen auf Ablehnung, die bereits ein risikoarmes, regelmäßiges Einkommen beziehen. 
  • Hinsichtlich der Corona-Krise sprechen sich Menschen, die in den letzten Wochen gekündigt wurden, als einzige Gruppe überwiegend für ein BGE aus. Die stärksten Gegner eines Grundeinkommens sind Personen, deren Erwerb sich durch die Krise nicht verändert hat, oder die sogar mehr als zuvor arbeiten.

Von Lukas Schlögl und Barbara Prainsack

Allgemein versteht man unter einem bedingungslosen Grundeinkommen einen steuerfinanzierten Betrag, der die grundlegenden Lebenshaltungskosten deckt und vom Staat an jeden Bürger in gleicher Höhe monatlich ausgezahlt wird. Bedingt durch Entwicklungen wie die zunehmende Automatisierung und Digitalisierung der Arbeit waren Rufe nach einem BGE in den letzten Jahren in vielen Ländern lauter geworden; die Rekordarbeitslosigkeit durch die Corona-Krise in den letzten Wochen und Monaten hat die Debatte noch zusätzlich angefacht. Sogar der Papst bemerkte in seinem Osterbrief, dass es vielleicht jetzt “die richtige Zeit” sei, über ein Grundeinkommen nachzudenken. Und eine kürzlich EU-weit durchgeführte Meinungsumfrage ergab, dass 71% der Europäer*innen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens unterstützen.

Wie stehen die Österreicher*innen dazu? Gibt es auch hierzulande den Wunsch nach einer stärkeren Entkopplung von Einkommen und Arbeit?

Die Grund(einkommens)stimmung  

Im Rahmen der Corona-Panel Studie wurde eine repräsentative Stichprobe der österreichischen Bevölkerung (n=1,515) zu diesem Thema befragt. Das Grundeinkommen wurde wie oben beschrieben definiert - mit dem Zusatz, dass ein solches BGE  “viele andere Sozialleistungen ersetzen” würde. Abgefragt wurde also eine wohlfahrts-substitutive (nicht additive) Form des Grundeinkommens. Die Befragten gaben auf einer vierstufigen Skala an, wie sehr sie “alles in allem gegen oder für ein solches Grundeinkommen in Österreich” eingestellt sind. 

Die Ergebnisse der Befragung zeigen einmal mehr, dass das BGE polarisiert: Unter den Befragten sprachen sich etwa gleich viele für ein Grundeinkommen (rund 40%) wie gegen eines (rund 42%) aus (siehe Grafik 1). Viele sind allerdings unentschlossen: Ein knappes Fünftel (rund 18%) der Befragten gab “weiß nicht” an oder verweigerte die Antwort. Die Corona-Krise hatte auf die Bilanz zwischen Zustimmung und Ablehnung zum BGE bisher kaum Einfluss: Bereits 2016 waren laut Daten des European Social Survey etwa so viele Österreicher*innen dafür wie dagegen. Leicht verschoben hat sich nur der Grad der Zustimmung bzw Ablehnung: Im Zeitvergleich sind nun etwas mehr “sehr” dafür bzw. “sehr” dagegen. Die Mittelwerte der Aussagen-Skala in den beiden Umfragen sind fast ident.

Grafik 1: Antworten auf die Frage: “Alles in allem, wären Sie gegen oder für ein solches Grundeinkommen in Österreich?”. Die gefüllten Balken zeigen die Ergebnisse der Corona Panel Befragung (n=1.515). Die gestreiften Balken illustrieren im Vergleich dazu das Ergebnis der European Social Survey 2016 (n=2.010). Die Unterschiede bei den Weiß-Nicht bzw Enthaltungen könnten im Einklang mit diesbezüglicher Forschung mit den unterschiedlichen Umfrage-Formaten (CoronaPanel: digital, ESS: face-to-face) zusammenhängen.

Der Faktor Einkommens(un)sicherheit

Ein Kennzeichen eines bedingungslosen Grundeinkommens ist, dass alle Menschen den gleichen Betrag bekommen, egal ob sie arbeiten oder nicht. Hinsichtlich des Erwerbsstatus im Februar 2020 ist in unserer Befragung die Zustimmung zum BGE unter selbständig Erwerbstätigen, Studierenden und Arbeitslosen deutlich höher als unter (insbesondere im öffentlichen Sektor) unselbständig Erwerbstätigen oder Pensionist*innen. Das BGE stößt also gerade bei jenen auf Ablehnung, die bereits jetzt ein risikoarmes und regelmäßiges Einkommen beziehen - im Falle von Pensionist*innen handelt es sich dabei dank Aus­gleichs­zu­lage sogar um einen garantierten, sozial aufgestockten Bezug. Dafür erfreut sich das BGE bei jenen größerer Beliebtheit, die vergleichsweise unsicheren Formen der Beschäftigung nachgehen oder die gar nicht im Erwerbsleben stehen (Grafik 2, links). 

Hinsichtlich der veränderten Berufssituation aufgrund der Krise sprechen sich Menschen, die in den letzten Wochen gekündigt wurden, als einzige Gruppe mehrheitlich für ein BGE aus. Alle anderen sind überwiegend dagegen: Die stärksten Gegner*innen eines Grundeinkommens sind dabei Personen, deren Erwerb sich durch die Krise nicht verändert hat, oder die sogar mehr als zuvor arbeiten (Grafik 2, rechts). Auch bereits im ESS 2016 war die Zustimmung zum BGE bei Arbeitssuchenden deutlich höher als bei anderen Gruppen.  Eine spannende Frage für vertiefte Analysen ergibt sich aus dem Umstand, dass die Corona-Krise zwar zu einem rapiden Anstieg der Arbeitslosigkeit führte, dass die Zustimmung zum BGE aber, wie bereits erwähnt, gegenüber 2016 in Summe konstant blieb. Dies könnte möglicherweise dadurch erklärt werden, dass die höhere Zustimmung zum BGE bei Arbeitslosen durch eine entgegengesetzte Entwicklung bei anderen Erwerbsgruppen ausgeglichen wurde (zum Beispiel durch jene, die jetzt mehr als zuvor arbeiten). Es sind aber auch andere Erklärungsansätze denkbar.

Grafik 2: Zustimmung zum BGE nach Erwerbsstatus im Februar 2020 (links) und nach Veränderung der Berufssituation in der Corona-Krise (rechts). Die Werte für Präsenz/Zivildiener sind mit Vorsicht zu interpretieren, da sich die Stichprobe hier auf nur 3 Befragte bezieht.

Ideologisch schwer zuordenbar

Das BGE ist in konventionelle ideologische Kategorien nicht leicht einordenbar. Mit Blick auf die politische Selbsteinschätzung gibt es sowohl links als auch rechts der Mitte Zustimmung zum  BGE. Die stärkste Zustimmung findet sich sowohl bei den (in der Umfrage deklarierten) Wähler*innen der wirtschaftsliberalen NEOS als auch bei jenen von linken und grünen Parteien (Grafik 3). Wähler*innen der ÖVP und FPÖ sind dem BGE gegenüber zwar am stärksten ablehnend eingestellt; dennoch findet sich auch bei diesen Parteien eine relevante Minderheit an Befragten, die Sympathie für ein BGE bekunden. Einschränkend anzumerken ist hier, dass ein Fünftel der Befragten ihre Wahlentscheidung trotz Aufforderung in der Umfrage nicht bekannt gaben, was die Repräsentativität dieser Ergebnisse beeinträchtigen könnte.

Grafik 3: Zustimmung und Ablehnung zum BGE nach deklarierter Wahlentscheidung in der Nationalratswahl 2019

Ausblick

Während unsere Daten klar zeigen, dass es in Österreich auch zu Zeiten der Rekordarbeitslosigkeit keine Mehrheit für ein BGE gibt, ist bezüglich weiterführender Schlüsse Vorsicht geboten. Der “Druck” zur Einführung einer vom Erwerbsstatus unabhängigen Grundsicherung ist in jenen Ländern am höchsten, in denen es wenig soziale Sicherungsinstrumente gibt, welche Einkommenseinbußen von Menschen abfedern. Noch höher ist dieser Druck dort, wo sich Menschen Güter und Dienstleistungen am freien Markt kaufen müssen, die hierzulande von der öffentlichen Hand kostengünstig zur Verfügung gestellt werden: Gesundheitsversorgung, Kinderbetreuung, Transport, Bildung, und vielerorts auch sozialer Wohnbau.

Zudem könnten Befürworter*innen des Grundeinkommens die Tatsache nutzen, dass Arbeitslosigkeit und die Sorge um Einkommensverluste nun zu breiten gesellschaftlichen Erfahrungen wurden, um die relativ hohe Zahl der Menschen, die keine starke Meinung zu dem Thema haben, für ihr Anliegen zu überzeugen. Zum Thema BGE ist in dieser Krise das letzte Wort also womöglich noch nicht gesprochen.


Barbara Prainsack ist Professorin für Vergleichende Politikfeldanalyse und Leiterin der Forschungsgruppe Zeitgenössische Solidaritätsstudien (CeSCoS) am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.

Lukas Schlögl ist Post-Doc Universitätsassistent für Vergleichende Politikfeldanalyse am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf Themen der Technologie-, Industrie- und Arbeitspolitik.